Brian Robertson & Frédéric Laloux diskutieren die Argumente gegen alternative Governance-Modelle
Seit seiner Gründung im Jahr 1970 ist Sun Hydraulics, ein in Florida ansässiger globaler Hersteller von hydraulischen Patronenventilen und Ventilblöcken mit 900 Mitarbeitenden, ein radikal selbstverwaltetes Unternehmen. Sun hat keine Abteilungen für Qualitätskontrolle, Terminplanung oder Einkauf und es gibt keine Standardproduktionszeiten, Stechuhren oder Quoten. Dennoch hat das börsennotierte Unternehmen seit über 30 Jahren keinen Verlust gemacht und seine Gewinnmargen sind atemberaubend.
Was ist der Grund für diesen Erfolg? Wie kann ein Unternehmen ohne ein mittleres Management oder ohne eine klare Hierarchie von Menschen laufen? Frédéric Laloux, ein ehemaliger Berater bei McKinsey & Company, beantwortet diese Fragen in seinem neuen Buch Reinventing Organizations. Er legt nahe, dass Unternehmen wie Sun Hydraulics gerade wegen der selbstorganisierten Führung erfolgreich sind, nicht trotz ihr.
Jede*r, der*die den Trend verfolgt, weiß jedoch, dass diese Erkenntnisse nicht allgemein anerkannt sind. Sowohl Laloux als auch Brian Robertson, der Begründer von Holacracy®, das in Laloux' Buch vorgestellt wird, haben sich einer Vielzahl von Fragen und Kritiken gestellt. Im folgenden Videointerview diskutieren Laloux und Robertson fünf gängige Kritiken an selbstorganisierten oder selbstverwalteten Betriebsmodellen und geben substantielle Antworten auf jede davon (ich habe sie auch unten zusammengefasst).
Eine Replik auf die gängigen Kritiken an Holacracy© und anderen neuen Organisationsmodellen
1. "Du kannst nicht einfach die Struktur wegwerfen!"
Kritiker behaupten, dass Holacracy und andere selbstorganisierte Betriebsmodelle wichtige organisatorische Strukturen eliminieren, die für Koordination und Entscheidungsfindung benötigt werden. Laloux und Robertson schlagen vor, dass Unternehmen wie Sun Hydraulics keine Strukturen eliminieren, sondern eher die Art der Struktur, die sie verwenden, aktualisieren. Laloux beschreibt, dass diese Unternehmen eine Netzwerkstruktur verwenden, die keine zentrale Kontrolle hat, ähnlich wie Marktsysteme oder das menschliche Gehirn. Laloux fügt hinzu, dass starre Hierarchien mit einfachen Systemen funktionieren können, aber komplexe Systeme, wie die meisten modernen Organisationen, benötigen Netzwerkstrukturen, um ihre Koordination und Entscheidungsfindung zu erleichtern. Robertson fügt hinzu, dass die Organisationsstruktur in der Holacracy gerade wegen ihrer Wichtigkeit klar in der Verfassung beschrieben ist.
2. "Selbstorganisation wird territoriale Streitigkeiten verstärken, was das Engagement der Mitarbeiter senken wird!"
Befürworter der Selbstorganisation rühmen sich mit einem höheren Mitarbeiterengagement, aber Kritiker stellen die These auf, dass, wenn man formale Hierarchien abschafft, informelle Hierarchien einfach ihren Platz einnehmen werden. Diese "Herr der Fliegen"-Kultur wird wiederum dazu führen, dass die Mitarbeiter weniger engagiert sind. Laloux und Robertson antworten, dass die Realität in diesen Organisationen das Gegenteil von dem ist, was die Kritiker vorhersagen. Es ist wahr, dass selbstorganisierte Organisationen Macht und Territorium verteilen, aber diese Macht und Territorien sind nicht mehr begrenzt. Laloux behauptet: "Die Mitarbeiter in diesen Unternehmen sagen: 'Ich muss keine Spielchen spielen, denn ich bin voll befugt, das zu tun, was ich tun muss. Ich habe echte Macht und alle anderen auch.'" Robertson fügt hinzu, dass Holacracy sich nicht gegen natürliche territoriale Tendenzen wehrt oder sie unterdrückt, sondern sie stattdessen nutzt, indem sie jedem ein klares Territorium gibt. Beide stimmen darin überein, dass Mitarbeiter in erfolgreichen selbstorganisierten Unternehmen ganz natürlich und aufrichtig in ihrer Arbeit engagiert sind.
3. "Ohne Hierarchie wird niemand eine Entscheidung treffen!"
Viele Kritiker der Selbstorganisation betonen, dass konsensbasierte Entscheidungsfindung langsam und ineffektiv ist. Robertson entgegnet, dass Holacracy weder auf Konsens noch auf eine traditionelle Hierarchie angewiesen ist. Laloux fügt hinzu, dass die meisten erfolgreichen selbstorganisierten Unternehmen einen "dritten Weg" gefunden haben, der die Zusammenarbeit des Konsens mit der klaren Autorität der Hierarchie kombiniert. Robertson fügt hinzu, dass dieser Ansatz in Netzwerksystemen auftaucht, die einfache Regeln und Grenzen für jedes Individuum bereitstellen, die paradoxerweise eine große Bandbreite an komplexen Interaktionen ermöglichen. Beide stimmen darin überein, dass, wenn Individuen klare Regeln, klare Verantwortlichkeiten, klare Territorien und ein klares gemeinsames Ziel haben, unilaterale Entscheidungsfindung hochgradig kollaborativ wird, ohne Konsens zu benötigen.
4. "Die Regeln sind zu komplex!"
Viele Kritiker werfen Holacracy und den von Laloux untersuchten Unternehmen vor, zu viele Regeln zu haben und die Organisationsführung zu kompliziert zu gestalten. Laloux entgegnet, dass dies ein grundlegendes Missverständnis ist, da diese Modelle tatsächlich eine enorme Menge an Komplexität durchbrechen. Er fügt hinzu, dass die meisten Führungskräfte 80-90% ihrer Zeit damit verbringen, vor ihrem Chef gut dazustehen, sich auf Meetings vorzubereiten und Ziele zu setzen, was alles dem System zusätzliche Komplexität verleiht. Wenn die Politik herausgenommen wird, machen die Leute einfach die Arbeit. Robertson fährt fort, dass die Führung innerhalb einer typischen Organisation massiv komplex ist; viel komplexer als die 30-seitige Verfassung von Holacracy. Er fügt hinzu, dass Holacracy's Governance wie ein Marktsystem ist, in dem einfache Regeln komplexe Interaktionen ermöglichen. Laloux antwortet, dass es eine Lernkurve für jedes dieser Systeme gibt, genau wie das Erlernen eines neuen Spiels. Tatsächlich sagten viele Menschen, mit denen er während seiner Forschung sprach, dass sie "entspannt in die Arbeit gehen", weil sie nicht mit politischen Komplexitäten belastet sind.
5. "Was ist mit dem Kunden!?"
Diese Kritik, wie sie im Forbes Artikel von Steve Denning geäußert wird, wirft vor, dass... "die einzigen expliziten Feedback-Mechanismen, auf die in der Holacracy Verfassung angespielt wird, vertikal sind. Es gibt keine expliziten Feedback-Mechanismen vom Kunden, d.h. den Menschen, für die die Arbeit getan wird." Laloux antwortet, dass jedes Organisationsmodell per Definition auf die internen Abläufe der Organisation fokussiert ist, aber das schließt den Kunden nicht aus. Tatsächlich fand er in den Unternehmen, die er untersuchte, keine Anzeichen von Nabelschau. Robertson fügt hinzu, dass diese Unternehmen unglaublich "zweckorientiert" sind, was per Definition einen Fokus auf den externen Kunden bedeutet. Wiederum artikuliert Laloux, dass diese Unternehmen wegen ihres Dienstes am Kunden erfolgreich sind; er sagt, "...die Kunden lieben sie, weil die zweckorientierte Kultur so offensichtlich ist."
Also, wie können Unternehmen ohne die traditionelle Führung auf Managerebene erfolgreich sein? Wie gehen Holacracy und andere Selbstmanagement-Modelle mit Struktur, Entscheidungsfindung, Mitarbeiterengagement oder dem Kunden um? Die Fallstudien in Laloux' Buch Reinventing Organizations, sowie dieses Interview, geben substanzielle Antworten auf diese Fragen. Dennoch wissen wir, dass die Debatte nicht schnell enden wird. Laloux kommentiert: "...die Tiefe des Paradigmenwechsels ist enorm, deshalb habe ich Mitleid mit den Menschen, die versuchen, ihre Köpfe darum herum zu bekommen." Wenn das stimmt, dann scheinen die Argumente gegen die soziale Technologie der Holacracy und die anderen Ansätze, die in Laloux' Forschung hervorgehoben werden, eher in alten Annahmen als in neuen Beweisen verwurzelt zu sein.
Dieser Blogbeitrag erschien erstmals auf dem Blog von HolacracyOne. Das Original findest du hier. Die Übersetzung stammt von Xpreneurs mit freundlicher Genehmigung von HolacracyOne.