Wofür steht euer Unternehmen in der Welt?
Die meisten Unternehmen beginnen mit einer guten Idee, die unmittelbaren Kundennutzen stiftet. Sie lösen ein Problem oder befriedigen ein Bedürfnis, das in der Welt existiert, bzw. welches das Unternehmen wahrnehmbar macht. Als Folge entsteht ein positiver Werteaustausch mit seiner Umwelt, bei der Wachstum und Profit entsteht.
Später ist es jedoch oftmals so, dass die Erzeugung von finanziellem Mehrwert mit dem eigentlichen
Sinn & Zweck (Purpose)
des Unternehmens gleichgesetzt oder darauf reduziert wird. Gewinnstreben wird schleichend zum unhinterfragten Selbstzweck. Die Organisation wird mehr und mehr zum Sklaven der materiellen Begehrlichkeiten ihrer Eigentümer und Stakeholder, was zahlreiche unintendierte Konsequenzen nach sich zieht und oftmals den ursprünglichen Sinn & Zweck verwässert.
Wozu Sinn & Zweck?
Progressive Firmen, die sich mit Selbst-Management, bzw. Holacracy beschäftigen, kommen nicht umhin, sich selber die “Purpose”-Frage zu stellen und zu beantworten.
Der englische Begriff “Purpose” umfasst die Bedeutungsaspekte von “Sinn” und “Zweck” und beantwortet zwei Kernfragen einer Organisation:
- “Was will diese Organisation in der Welt sein?”
- “Was möchte die Welt von der Organisation, dass sie sei?”
Die Antwort auf diese Fragen sollte in einer knappen und prägnanten Formulierung ausdrückbar sein, z.B.:
- “ Die Information der gesamten Welt ordnen und verfügbar machen” (Google),
- “Menschen Souveränität in Finanzierungsfragen ermöglichen” (Dr. Klein Privatkunden AG) , oder
- “ Die Beziehung der Menschheit zu Macht evolvieren” (HolacracyOne).
Wenn "Purpose" zum Boss wird
Fortschrittliche Unternehmen, die proaktiv auf den Wandel und die Disruption in ihrer Umwelt antworten, praktizieren in der Regel eine Form des Selbst-Managements, wie z.B. Holacracy, in denen der Purpose als ultimative Richtschnur für Entscheidungen dient. Mit anderen Worten: der Purpose ist der Boss. Da der Gesamt-Purpose bei Holacracy in Kreise und Rollen mit ihren Unterzwecken ausdifferenziert ist, kann man sagen, dass die Entscheidungsbefugnis über alle Rollen des Unternehmens verteilt ist (mehr darüber wie das funktioniert, erfährt man hier ).
Abgrenzung von “Purpose” zu “Vision” und “Mission”
Eine “Vision” ist, wie das Wort schon andeutet, ein lebendiges Bild einer möglichen Zukunft, welches zum Handeln inspiriert, um sie zur Wirklichkeiten werden zu lassen. Oftmals empfangen Gründer*innen eine solche Vision, gehen mit ihr “schwanger” und bringen dann eine Organisation zur Welt. Als Bild ist die Vision ein relativ konkretes Bild einer Zukunft, das die Mitarbeitenden motiviert und antreibt.
Eine Purpose-Formulierung ist im Gegensatz zur Konkretheit einer Vision in der Regel abstrakter und dadurch offener gehalten.
Eine “Mission” bezeichnet einen Endzustand, ein großartiges Ziel, das es zu erreichen gilt, z.B. eine Kolonie auf dem Mars einzurichten, die Weltmeere von Plastik zu befreien, oder Elektromobilität bis 2045 für Deutschland zu erreichen. Sie kann abstrakter sein als eine Vision, evoziert aber oft ebenfalls ein inneres Bild des Ziels.
Eine Mission ist im Grunde ein sehr großes (und “haariges”) Projekt, dessen Erreichung Jahre (oder gar Jahrzehnte) koordinierter Arbeit bedarf. Doch potentiell ist es abschließbar und der Endzustand ist bekannt. Danach ist es fertig und eine Organisation, die ihre Mission erreicht und verwirklicht hat, wird nicht länger benötigt, bzw. muss sich eine neue Mission setzen.
Im Unterschied zu einer “Mission” ist ein Purpose (Sinn & Zweck) niemals abgeschlossen. Es gibt keinen absoluten Endzustand, nur eine Richtung. Ein Purpose ist ein Bedeutungshorizont auf dessen Ende man sich zubewegt, doch den man niemals erreicht, da er mit einem selber mitwandert und evolviert. Dadurch ermöglicht er eine fortwährende evolutionäre Ausrichtung und unterliegt selber ebenfalls einer Entwicklung, der die Organisation lauschen lernen muss.
Klare Vereinbarungen in allen Dimensionen
Ein Unternehmen als Entität hat mindestens drei Dimensionen oder Kontexte, die man ins Auge fassen sollte, um es in seiner Ganzheit zu erfassen:
- Kontext “Arbeit”
- Kontext “Mensch”
- Kontext “Recht”
Es ist möglich, durch die Einführung einer Praxis des Selbst-Managements (wie Holacracy) die Art und Weise der Zusammenarbeit im Kontext “Arbeit” komplett zu transformieren. Doch das ist gewissermaßen erst ein Drittel der eigentlichen Transformationsarbeit, wenn man sinnorientiertes Unternehmertum ganzheitlich angehen will. Es fehlen dann noch der Kontext “Mensch” und der Kontext “Recht”.
Der Kontext “Mensch” betrifft die Gemeinschaft der Menschen als Menschen außerhalb ihrer Arbeitsrollen. Auch hier braucht es klare Regeln und gemeinsame Vereinbarungen und Prozesse um Konflikte und Spannungen lösen zu können.
Der Kontext “Recht” bezieht sich auf die Rechtsform und die Eigentümerschaft. Wem gehört das Unternehmen und wer trägt das Risiko und die unternehmerische Verantwortung? Wer sind die Investoren der Organisation und welche Ansprüchen können sie geltend machen? Regelungen sind hier meist im Gesellschaftsvertrag oder den Statuten der Organisation festgehalten.
Das Modell des “For-Purpose-Enterprise”
Das von encode.org entwickelte Konzept des “For-Purpose-Enterprise” (FPE) ist eine Antwort auf die Frage, wie man eine Organisation aufsetzen kann, die die Arbeit nach den Regeln von Holacracy mit Selbst-Management strukturiert, in der die Mitarbeiter klare Vereinbarungen über ihren Umgang miteinander eingehen, als auch Eigentümer und Investoren der Firma im rechtlichen Sinne sind. Das Besondere am FPE ist, dass ihre Prozesse aus den drei Kontexten durch klare Regeln ineinandergreifen und in Bezug auf den Gesamt-Purpose harmonieren. Es ist eine Vorlage für eine Organisation, deren Sinn & Zweck nicht durch Partikularinteressen korrumpierbar ist, weil die Regeln in den Gesellschaftsvertrag eingebettet sind.
Das Modell des “Verantwortungseigentums”
Ähnlich dem FPE-Modell, hat die Purpose Stiftung einen Weg entwickelt, um zu verhindern, dass der Purpose einer Organisation durch kurzfristige Kapitalinteressen von Investoren “gekidnappt” und (sinn- &) zweckentfremdet wird.
Unternehmen in Verantwortungseigentum verpflichten sich zu zwei Prinzipien:
- Selbstbestimmung – das Steuerrad des Unternehmens, die Stimmrechte, liegt bei aktiven UnternehmerInnen;
- Vermögensbindung – die Gewinne sind Mittel zum Zweck und nicht Selbstzweck.
Das Modell des “FairShares Commons”
Das Model des FairShares Commons wurde von
Graham Boyd
entwickelt und stellt den zur Zeit vermutlich konsequentesten Weg dar, um die Einschränkungen traditioneller Gesellschaftsformen wie privater oder öffentlicher Aktiengesellschaften, Genossenschaften oder Stiftungen zu überwinden und auf deren Errungenschaften aufzubauen und diese zu integrieren. Das Modell der FairShares Commons funktioniert heute bereits vielen Ländern. FairShares Commons Unternehmen behandeln alle Kapitalsorten und alle Interessensgruppen (Stakeholder) auf einer gleichberechtigten Basis und geben uns damit das Werkzeug, das wir brauchen, um unsere globalen Herausforderungen zu lösen.