Holacracy® Praxis Leitfaden
In Firmen mit Selbst-Management treffen natürlicherweise mehr Menschen mehr folgenreiche Entscheidungen. Das bedeutet, dass die Anzahl der Entscheidungen, die innerhalb der Organisation benötigt werden leicht ihre Qualität übersteigen könnte.
Und ich spreche hier über bewusst abgewogene Entscheidungen, nicht intuitive Entscheidungen. Mit anderen Worten, ich spreche hier nicht über unmittelbare oder reaktive Entscheidungen (z.B. wie man auf die Frage eines Journalisten antwortet, oder du an der nächsten Kreuzung links oder rechts abbiegen solltest), sondern über bewusst abgewogene Entscheidungsfindung. Entscheidungen, für die du etwas Zeit hast, um sorgfältig Optionen oder Alternativen abzuwägen, bevor du handelst.
Nun, die alte Management-Hierarchie scheint perfekt eingerichtet zu sein, um Individuen von den Auswirkungen ihrer Entscheidungen abzuschirmen (es sind nur diejenigen an der Spitze, die sich nirgendwo verstecken können, weshalb wir ihnen die Spitzengehälter zahlen). Doch wenn wir die Befugnis ganz bewusst auf alle verteilen, dann muss jeder ein besserer Entscheider werden.
Wie wird man besser? Nun, wie das alte Sprichwort sagt: gutes Urteilsvermögen entsteht normalerweise durch Erfahrung, und Erfahrung entsteht normalerweise durch Fehlentscheidungen. Doch gewöhnlich reicht Erfahrung alleine nicht aus. Du musst deine Erfahrung verstehen, um sie vollständig zu verdauen.
Aus diesem Grund habe ich ein paar Daumenregeln zur Entscheidungsfindung gesammelt, die dir dabei helfen können, eleganter durch deine Erfahrungen zu navigieren.
1. “Was würde ein Bedürfnis auslösen, diese Entscheidung zu revidieren?”(Trigger)
Das Buch “Decisive”von Chip und Dan Heath beschreibt die folgende Geschichte, welche ich ein wenig abkürze:
Im Jahr 1981 bewertete Kodak, jener zeit die größte Firma der Film-Fotografie, die potentiellen Auswirkungen des entstehenden digitalen Fotografie Marktes auf ihr Geschäft. Sie schlossen, dass
- die Qualität der Abzüge von elektronischen Bildern für die Konsumenten generell nicht akzeptabel als ein Ersatz für Film sein wird.
- der Bedarf des Konsumenten, Abzüge zu zeigen und zu verteilen nicht durch digitale Geräte ersetzt werden kann.
- elektronische Systeme nicht günstig genug sein werden, um weitverbreiteten Anklang zu finden.
Nachdem sie den digitalen Markt komplett falsch eingeschätzt hatten, meldete Kodak im Januar 2012 Konkurs an. Was war geschehen? Nun, die Analyse, die sie 1981 erstellt haben, war komplett richtig während der 80er und sogar der 90er Jahre. Ihre sorgsame Analyse lieferte ihnen keinerlei Grund zur Besorgnis, doch weil der Wandel von Tag zu Tag graduell ist, hatten sie sich keinen Trigger gesetzt, um ihre Beteiligung im digitalen Markt zu re-evaluieren. Sie waren im Autopilot.
Was wäre stattdessen geschehen, wenn sie nach Abschluss ihrer Analyse einige Trigger etabliert hätten? So sagt uns “Die Qualität der Abzüge von elektronischen Bildern für die Konsumenten wird generell nicht akzeptabel als ein Ersatz für Film sein”, einen Trigger zu etablieren wie etwa, “Wir werden handeln, sobald irgendeine Art elektronisches System zur Bildbetrachtung von mehr als 5% der Öffentlichkeit gekauft worden ist.”
2. “Verzögere die Entscheidung bis zum letzten verantwortbaren Moment.”
Das bedeutet: stresse dich nicht mit einer Entscheidung, die du auch später machen kannst. Stell dir vor, du und ich planen eine Reise nach Hawaii in 6 Monaten und ich frage dich, ob du Parasailing machen willst, wenn wir da sind. Ich denke, dass das Spaß bringen würde. Du bist dir nicht so sicher. Ich bin jetzt vielleicht ein bisschen genervt, weil du nicht so enthusiastisch bist wie ich, doch die Frage, die ich mir eigentlich stellen sollte lautet, “Muss diese Entscheidung jetzt getroffen werden … 6 Monate im Voraus?”Wahrscheinlich nicht.
Doch vielleicht muss sie das. Wie kann ich den Unterschied erkennen? Nun, sammle ein paar Daten. Gibt es einen riesigen Discount, wenn man 6 Monate im Voraus bucht? Nö. Ich rufe ein paar Anbieter an und alle von ihnen sagen, dass sie tagesaktuelle Buchungen akzeptieren. Braucht Parasailing irgendwelche spezifischen Sachen, die wir einpacken müssen, bevor wir losfahren? Wieder nein. Also kann die ganze Entscheidung über Parasailing oder kein Parasailing an Ort und Stelle getroffen werden, sobald wir ankommen. Das ist ein Beispiel dafür die Entscheidung bis zum letzten verantwortbaren Moment zu verzögern.
Das bringt dir im allgemeinen nicht nur Entscheidungen von höherer Qualität, sondern es kann dich auch davor bewahren, Streit-Diskussionen zu führen, die von vornherein überhaupt nicht nötig gewesen wären. Indem wir eine unreife Entscheidung vermeiden, werden wir weniger wahrscheinlich zum Opfer unserer eigenen Psychologie (z.B. die Sunk-Cost-Fallacy, etc.), welche uns andernfalls vermutlich an unser Entscheidung festhalten ließe, selbst wenn uns neue Daten mitzuteilen versuchen, das es die falsche ist.
3. “Wie reversibel ist diese Entscheidung?”
Das ist besonders wichtig, um herauszufinden, wie viele Daten du brauchst, bevor du loslegst. Das ist wie zu fragen, “Wie wichtig ist das?”oder “Wie starke Auswirkungen wird das haben?”, doch beide dieser Fragen erscheinen vage im Vergleich zu der Präzision ausdrücklich nach der Reversibilität einer Entscheidung zu fragen.
Bei Leuten, die am Holacracy Praxis Training teilgenommen haben, bleibt oftmals die Frage, “Ist es sicher genug, um es zu versuchen?”im Kopf hängen nachdem das Training schon lange vorbei ist. Warum? Weil es eine großartige Daumenregel ist. Es ist eine Frage, die genutzt wird, um Bedenken während eines Governance Meetings zu testen, doch ihr Nutzen geht weit über diesen spezifischen Kontext hinaus. Eine andere Version lautet “Sei ein Ferrari”, was einprägsam ist und grob dieselbe Botschaft vermittelt, doch ich finde sie weniger nützlich als, “Wie reversibel ist diese Entscheidung?”, denn “Reversibilität”ist sowohl neu als auch spezifisch (d.h. es definiert, was “sicher genug”wirklich bedeutet).
Wenn meine Frau und ich darüber streiten, welches Bild wir an die Wand hängen wollen, dann sind wir wahrscheinlich in eine Falle getappt. Ganz gleich, welches Bild wir jetzt gerade aufhängen, es kann leicht verändert werden. Warum also darüber streiten? Hänge irgendeines von ihnen auf. Schau wie es aussieht und passe bei Bedarf an.
Wenn du dich nicht wohl damit fühlst, eine Entscheidung zu treffen, die Auswirkungen auf andere hat, kann es auch hilfreich sein, dich zu fragen, “Wie viel Input ist diese Entscheidung wert?”Wenn es darum geht, ein neues Geschäftsfeld zu erschaffen, dann klar, hole dir viel Input ein. Doch wenn es etwas ist, dass morgen leicht wieder geändert werden kann, dann ist es wahrscheinlich nicht wert irgendwelchen Input im Voraus einzuholen. Leg einfach los.
4. “Muss ich mich darum kümmern?”
Es macht keinen Sinn eine Entscheidung zu treffen, die jemand anderes treffen sollte. Die Falle besteht darin, zu denken, dass nur deswegen, weil etwas in unsere Welt eingetreten ist, dass wir uns darum kümmern müssen. Vielleicht ist die angemessenste Antwort es an jemand anderes zu übergeben.
Nur weil ich eine Email von jemandem bekommen habe, den ich mal getroffen habe, in der er fragt, ob HolacracyOne gerade Leute einstellt, bedeutet das nicht, dass ich mich darum kümmern muss. Mit der Rollenklarheit kann ich unterscheiden zwischen einer Entscheidung, die jemand anderes treffen sollte, ohne in die Falle zu tappen, anzunehmen, dass niemand etwas tun wird, wenn ich es nicht tue.
“Interessiert es meine Rolle?”Entscheidungsbaum
Wenn etwas deine Aufmerksamkeit hat, ist es ist leicht anzunehmen, dass es deine Aufmerksamkeit haben sollte. Letztlich wurde die Email an dich geschickt. Die schlaue Idee, die du hattest ist deine. Und generell stimmt das. Das meiste Arbeitszeugs, das dir unterkommt betrifft eine deiner Rollen, doch in der heutigen vernetzten Welt hast du Sichtbarkeit weit über die Grenzen deiner Rollen hinaus, also sei dir darüber bewusst, was NICHT zu tun ist.
Und während keiner als eine Person erscheinen möchte, die sich nicht kümmert, ist es nicht diese Art von Kümmern, über die wir hier reden. Wenn ein Torhüterin sich um ihr Team kümmert, braucht sie sich nicht um das Toreschießen kümmern. Wenn sie den Kasten verlässt, um ein Tor zu schießen, dann macht sie ihren Job nicht gut. Sie macht das Team verletzlich und steht anderen im Weg. Sie ist kein guter Team-Player.
Um uns auf eine Sache zu konzentrieren, müssen wir uns auf andere Sachen nicht konzentrieren. Also nur weil die Antwort auf die Frage “Interessiert es meine Rolle”“nein”lautet, bedeutet es noch nicht, dass du es fallen lässt. Es geht nicht um die Vermeidung von Verantwortlichkeit. Es geht darum herauszufinden, wo diese Arbeit zuhause ist. Es bedeutet ernsthaft zu fragen “Wer kümmert sich darum?”, damit du es an die richtige Stelle bringen kannst. Nochmal, es macht keinen Sinn mit einer schwierigen Entscheidung zu ringen, die jemand anderes treffen sollte.
Dieser Blogbeitrag erschien erstmals auf dem Blog von HolacracyOne. Das Original findest du hier. Die Übersetzung stammt von Xpreneurs mit freundlicher Genehmigung von HolacracyOne.
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