Es beginnt etwas Neues. Ich bin wieder eine Anfängerin. Da ich gerne alles weiss und alles kann, ist mir diese Rolle doch auch immer wieder unangenehm. Wie eine Anfängerin fühle ich mich aber nicht nur seit Beginn dieser neuen Reise bei Xpreneurs, sondern schon seit einigen Monaten. Ich hatte mich während des Corona-Lockdowns intensiv mit der Frage nach dem richtigen Beruf für mich auseinandergesetzt. Ich weiss, dass diese Freiheit in der Berufswahl ein grosses Privileg ist. Ich weiss aber auch, dass mit der Grösse dieser Freiheit und der Grösse eines Privilegs auch die Grösse der Verantwortung zunimmt. Ich habe mir dieses Privileg nämlich nicht selbst erarbeitet, sondern hatte das Glück, in der Schweiz als Kind von sorgsamen, mittelständischen Eltern und als weisse Frau geboren zu werden. Deswegen ist es mir wichtig, dieses Privileg und meine Talente verantwortungsvoll zu nutzen. Verantwortung zu übernehmen bedeutet für mich, meine eigenen Bedürfnisse mit den Bedürfnissen meiner Mitwelt abzugleichen und Lösungen zu suchen, die Leben und Lebendigkeit fördern und nicht zerstören.
Ich kann mit Worten nur schwer beschreiben, wie sich dieser innere Kompass der Verantwortung anfühlt. Er ist keine Kreation meines Geistes sondern sitzt tief in jeder meiner Zellen. Weiche ich von dem verantwortungsvollen Kurs ab, reagiert der Kompass mit dem Auslösen von starken Emotionen, die mich wieder zentrieren und erneut auf diesen Pfad der Verantwortung, der Integrität und des Friedens ausrichten. Ich könnte natürlich alle diese starken Emotionen so lange unterdrücken, bis sie irgendwo tief in mir vergraben sind. Da das für mich aber das Gegenteil von wahrer Lebendigkeit ist, verspüre ich keinen Reiz dazu, dies als meine langfristige Strategie zu wählen. Vielmehr möchte ich nach bestem Wissen und Gewissen meinen Beitrag zur Förderung des Lebendigen leisten und ein Vorbild für andere sein, sich dem Übernehmen von Verantwortung ebenfalls anzuschliessen. Deswegen ist es für mich unglaublich wichtig, bei der Suche nach dem richtigen Beruf den Aspekt der Verantwortung nicht auszuklammern. Ich möchte an einem Ort arbeiten, an dem ich diese Grundhaltung nicht kompromittieren muss, sondern offen leben kann.
Wir schreiben nun also das Jahr 2020, die Schweiz war im Lockdown und ich 24 Jahre alt. Ich hatte das Musikgymnasium, ein Wirtschaftsstudium, die Ecovillage Design Education, einen Teil des Permaculture Design Kurses und ein Jahr meiner Ausbildung in integrierter Friedensförderung hinter mir. Ich hatte einige Jahre als Kassiererin in einem Supermarkt, als Serviceangestellte, Barista und als Lernassistentin an einer privaten co-kreativen Friedensschule gearbeitet. Nebenbei hatte ich vor einigen Jahren sogar für den Nationalrat und eine Gemeindekommission kandidiert.
Von aussen sieht es vielleicht so aus, als könne ich nach all diesen Erfahrungen schon einiges. In mir drin hatte ich jedoch das Gefühl, ich könne überhaupt nichts. Das scheint irrational zu sein und doch war es meine Realität, als ich während des Lockdowns intensiv nach einem passenden Beruf suchte. Ich entdeckte in diesem Prozess so viele neue mögliche Arbeitsgebiete und jedes Mal wurde die Liste mit fehlenden Erfahrungen und Fähigkeiten in meinem Kopf länger und mein Selbstwert tiefer. Ich fühlte mich unbrauchbar und wertlos und wusste nicht, wo auf der ewig langen Liste der fehlenden Kompetenzen ich mit meiner Weiterbildung beginnen sollte. Um diese Überforderung und meine Gefühle der Wertlosigkeit verarbeiten zu können, schrieb ich ein Gedicht. Dabei realisierte ich, dass ich doch etwas kann und alle meine Fähigkeiten traten ab diesem Moment langsam wieder aus dem Nebel des Selbstzweifels hervor.
Inmitten dieses Prozesses stolperte ich über ein Buch von Frederic Laloux: Reinventing Organizations. Es eröffnete mir eine neue Welt der alternativen Ökonomie. Eine, die bereits jetzt inmitten des klassischen Wirtschaftsumfelds existiert, entwickelt wird und mithalten kann. Ich war berührt von den klaren Werten, die in solchen Teal-Organisationen gelebt werden. Denn auch ich möchte an einem Ort arbeiten, in dem Kooperation statt Konkurrenz, Vertrauen statt Misstrauen, Ganzheitlichkeit statt Einfältigkeit und Entfaltung statt Blockierung kultiviert werden. Kurz: An einem Ort, an dem Verantwortung übernommen wird, um das Lebendige zu fördern. Laloux”s Worte erschufen eine Brücke zwischen meinem bis dahin eher unbrauchbaren und damals auch sehr unbefriedigenden Wirtschaftsstudium und meiner jetzigen Ausbildung, der integrierten Friedensförderung. Ich wusste endlich, woran ich mich orientieren kann und begab mich auf Entdeckungsreise in der Schweizer Unternehmenswelt, mit der Hoffnung, einen zukünftigen Wirkungsort für mich zu finden.
Viele Onlinesuchen und Schlagworte später fand ich dann Xpreneurs. Es bereitete mir grosse Freude, dass dieses Beratungsunternehmen in meiner Heimatstadt Basel verortet ist. Ich entschied mich dazu, eine Spontanbewerbung zu schreiben. Diese stiess auf Neugier und ich hatte einige interessante Gespräche mit Eleonora. Trotz der beidseitigen Begeisterung schienen die Umstände ein klassisches Praktikum aber nicht zuzulassen. Etwas entmutigt erweiterte ich meinen Suchhorizont und schaute mich aufs Neue um. Zu diesem Zeitpunkt waren mir meine kommunikativ-kreativen Stärken wieder sehr präsent und ich suchte nach einem Praktikum im Bereich der Kommunikation oder des Journalismus und bewarb mich an einigen etwas klassischer organisierten Orten. Meine Chancen standen gut, Zusagen für mehrere dieser Jobs zu erhalten. Als ich aber wieder eines dieser Bewerbungsgespräche hinter mir hatte, übermannte mich ein riesiger Weltschmerz. Ich wusste nicht woher diese unglaublich grosse Trauer plötzlich kam und doch konnte ich sie nicht aufhalten. Die Tränen flossen und ich realisierte, dass sich mein Kompass der Verantwortung eingeschaltet hatte. Er half mir, ehrlich auf alles Geschehene zurückzublicken, Gedankenkonstrukte loszulassen und alles noch einmal zu hinterfragen.
Erst da wurde mir klar, wie sehr ich, jeweils passend zum Bewerbungsort, eine ganz andere Rolle gespielt hatte, um möglichst grosse Erfolgschancen zu haben. Ich zeigte immer nur einen Teil meiner Persönlichkeit, um nicht abgewiesen zu werden. Und ohne es zu merken, wies ich mich mit diesem Akt selbst ab. Wieso sollte ich an einem Ort arbeiten wollen, an dem viele meiner Stärken gar nicht relevant sind? Wieso war ich bereit, mein Wissen um den Zustand dieser Welt und meine kritischen Gedanken zugunsten einer temporären beruflichen Sicherheit zu unterdrücken? Wieso zog ich es in Betracht, meine Kreativität nicht dort einzusetzen, wo sie wirklich hingehört? An einen Ort, der das Gleiche anstrebt wie ich: eine verantwortungsvolle, innovative, lebensspendende, integrative, wohlwollende und bewusste Kooperation zwischen allen Menschen.
Ich realisierte, dass ich diese beruflichen Sicherheiten derzeit gar nicht brauche und mir wirklich erlauben kann, mich nach meinen Werten zu orientieren. Es wurde mir bewusst, dass ich bei Xpreneurs schon seit Beginn mein gesamtes Wesen zeigen konnte und mich nicht verstellen musste. Alle meine Ausbildungen, selbst jene in Permakultur Design, schienen sinnvoll für diese Arbeit. Und auch mein innerer Kompass fühlte sich wohl, denn Verantwortung wird nicht nur innerhalb von Xpreneurs gelebt und gefördert, sondern auch durch ihre Arbeit in die Welt getragen. Also entschied ich mich friedlich um drei Uhr Nachts dafür, mich auf die unklare Situation einzulassen, alle Konsequenzen, auch mögliche finanzielle, in Kauf zu nehmen und mich für Xpreneurs zu entscheiden. Ich wünschte mir berufliche Klarheit innerhalb der nächsten Woche. Als ich am nächsten Morgen erwachte, wartete eine Nachricht auf mich. Mir wurde mitgeteilt, dass sich bei Xpreneurs etwas verändert hatte und ein Praktikum nun doch möglich wäre. Welch unerwartete Wendung das Leben doch manchmal nimmt, wenn man den Mut hat, sich wirklich zu entscheiden!
Und nun sitze ich hier, bestätigt in meinen Werten und Absichten durch die Reise der letzten Monate. Dankbar für mein Privileg, meinen Kompass und meine Emotionen, die mir immer wieder den Weg weisen, wenn ich ihn nicht mehr sehen kann. Und stolz darauf, dass ich nach all dieser Zeit des Zweifelns, Wartens, Reifens und Klärens bei Xpreneurs endlich eine Anfängerin sein darf!