Der Schweizer E-Business-Dienstleister Unic ist mit seinen 250 Mitarbeitenden im April einen mutigen Schritt in Richtung Zukunft gegangen. Anstelle einer weiteren Umstrukturierung und anstatt „die Organisation ein bisschen von links nach rechts zu drehen“, hat das Unternehmen ein radikal anderes Management-System eingeführt: Holacracy. Holacracy heisst weg von traditioneller Top-Down Führung und hin zu mehr Selbststeuerung durch die Mitarbeitenden. Xpreneurs hat sie auf diesem Weg von den ersten Überlegungen an begleitet. In dieser Blogreihe erzählen wir über einzelne Stationen dieses gemeinsamen Weges.
Dies ist der erste Teil einer Fallstudie zur Einführung von Holacracy bei Unic. Die weitere Teile können über folgende Links erreicht werden:
- Teil 1: Holacracy bei Unic – Die Suche
- Teil 2: Holacracy bei Unic – Pre-Launch
- Teil 3: Holacracy bei Unic – Der Sprung ins kalte Wasser
- Teil 4: Holacracy bei Unic – Die Praxis im Alltag entwickeln
Immer häufiger begegnen uns Menschen, die über neue Arbeitsformen nachdenken. Digitalisierung und eine Welt, die sich immer schneller verändert – nur logisch, dass hier auch die Frage aufkommt, wie wir in Zukunft zusammenarbeiten werden und wie Arbeit in so einer Umwelt organisiert sein müsste. Viele Unternehmen suchen neue Wege, Methoden und Organisationsmodelle, um in den schnelllebigen Märkten wirkungsvoller auf Veränderungen reagieren zu können und Strukturen zu schaffen, die das unterstützen.
Bei Xpreneurs haben wir uns darauf spezialisiert, Unternehmen dabei zu begleiten, neue Formen von Organisation und Zusammenarbeit einzuführen, auszuprobieren und experimentell zu entwickeln.
So kam letztes Jahr auch Unic auf uns zu, um mit uns mögliche Lösungsansätze für eine zukunftsfähige Organisation zu entdecken und zu erarbeiten.
Die Geschäftsleitung von Unic machte sich im Rahmen eines längeren Prozesses Gedanken, wie sich Unic in den kommenden Jahren entwickeln müsste, um im Markt kompetitiv zu bleiben und arbeitete eine entsprechende Strategie aus. Das Team analysierte seine verschiedenen Geschäftsfelder, prüfte und erweiterte deren Business Modelle und reflektierte basierend auf diesem Prozess auch, wie die Organisation aufgestellt sein könnte, um die Businesspläne in den verschiedenen Geschäftsfeldern umzusetzen.
Ein besonderes Augenmerk während der Strategieentwicklung galt auch der hohen Marktdynamik und wie sich Unic in Zukunft erfolgreich im Markt positionieren könnte, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Insbesondere in der IT-Branche zeichnet sich der Markt durch eine sehr hohe Dynamik aus, ist ständig in Bewegung und erfordert ein hohes Mass an Flexibilität und kreativem Potential.
Ein weiterer Schwerpunkt war der eigenen Anspruch, ein attraktiver Arbeitgeber zu bleiben. Denn mit der stetig wachsenden Zahl an neuen Spielern im Markt und dem steigenden Bedarf an qualifizierten Fachkräften, gestaltete sich die Suche nach guten Mitarbeitern in der IT Branche zunehmend schwieriger.
Aus all diesen Überlegungen stellte sich die Frage, wie man sich als Unternehmen für diese Herausforderung rüsten könne und welche alternativen Organisations- und Führungskonzepte in diesen turbulenten Zeiten nützlich seien. Dabei entstand der Gedanke, das hierarchische Organisationssystem durch eine responsive Organisationsform abzulösen. Im Rahmen dieser Überlegungen stiess die Geschäftsleitung von Unic auf Holacracy und entschied, diese Organisationsform als mögliches Betriebssystem zu prüfen.
Als Holacracy-Pionier in der Schweiz sind wir oft die erste Anlaufstelle, wenn sich Unternehmen genauer für Holacracy interessieren. Unic trat im September 2016 an uns heran und lud unseren zertifizierten Holacracy Coach, Patrick Scheuerer, dazu ein, dieses Organisationsmodell bei einem kurzen Treffen vorzustellen.
Als Nächstes folgte der erste Tag einer Discovery Session, bei der in einem ersten Schritt die Mitglieder der Geschäftsleitung anhand von Simulationen ein möglichst reales Gefühl der Rollenverteilung und Entscheidungsprozesse bei Holacracy erleben wollten. Etwa zwei Wochen später entwickelten wir mit ihnen während des zweiten Tages der Discovery Session eine initiale Kreisstruktur für Unic, um den Verantwortlichen eine bessere Vorstellung einer Holacracy-Struktur im eigenen Unternehmen zu ermöglichen.
Die Discovery Sessions sind ein Angebot von Xpreneurs, um sich ein konkreteres Bild von Holacracy machen zu können, die Struktur und Abläufe besser zu verstehen und herauszufinden, ob solch eine Organisationsform überhaupt für das eigene Unternehmen in Frage käme. Unverbindlich und alltagsnah soll das Format einen ersten Eindruck vermitteln und die Grundlage für eine fundierte Entscheidung bilden.
Durch die Entwicklung einer initialen Kreisstruktur entsteht mehr Klarheit darüber, wie die Arbeit des Unternehmens in sinnhafte Bündel geordnet und erledigt wird bzw. wie sie bisher in der Organisation abgebildet wurde. In den meisten Firmen ist jeder einzelne an ganz bestimmte Strukturen gewöhnt, in traditionell hierarchisch geführten Unternehmen z.B. die Aufteilung in Funktionsbereiche, Abteilungen oder Business Units. Es herrschen genaue Vorstellungen darüber, wer auf welche Weise agiert oder wo die Entscheidungsbefugnisse verankert sind. Da Holacracy eine radikal andere Verteilung von Arbeit und Entscheidungskompetenz mit sich bringt, wird durch die Entwicklung einer initialen Kreisstruktur deutlicher, wie die eigene Arbeit unter Holacracy aufgeteilt und gegliedert werden könnte.
Unic war vor der Umstellung auf Holacracy in funktionale Business Units gegliedert. So stellten sie sich die Frage, wie man diese Business Units in ein Holacracy System und eine derartige Kreisstruktur übertragen könnte. Sollten sich die Kreise nach Kundenprojekten oder nach Fachbereichen gliedern?
Unsere Erfahrung ist, dass manche Kunden sich zunächst erst einmal an einer Mischlösungen versuchen, wobei sich diese häufig relativ schnell auflöst. Bei Unic z.B. zeigte sich bereits nach kurzer Zeit, dass eine solche Lösung keinen relevanten Fokus bieten konnte und die Rollen in den Fach-Kreisen wenig Arbeit miteinander teilten. Vielmehr waren die Rollen dieser Kreise mit Fachspezialisten besetzt, die in verschiedenen Kundenprojekten die gleiche Arbeit verrichteten.
Dieses schrittweise, iterative Herantasten an eine vorläufige Passung zwischen der externen Unternehmensrealität und der dazu passenden internen Strukturierung der Arbeit, ist eines der zentralen und mächtigsten Attribute einer evolutionären Organisationspraktik. Konkret auf dieses Beispiel bezogen, würde die Person, die als erste eine Spannung mit dieser Situation empfindet –weil sie sich z.B. mit Entwicklern in anderen Fachkreisen austauschen möchte- überlegen, was nächste Schritte für einen Austausch von Fachexperten über die Grenzen von Projekt-Kreisen hinweg sein könnten und welche Arbeit daraus entsteht. Nun würde die Person nach einer Rolle oder einem Kreis suchen, bei der oder dem eine solche Arbeit verankert ist oder gegebenenfalls eine neue Rolle schaffen. Dabei geht es nie darum, die “richtige” Lösung zu finden, denn die gibt es in komplexen Systemen nicht. Vielmehr geht es um eine kontinuierliche Verbesserung der Passung zwischen Umwelt und Organisation.
Unic war vor Holacracy für seine Grösse sehr hierarchisch aufgestellt. Bei 250 Mitarbeitenden gab es fünf Führungsstufen, die im Laufe der Zeit durch eine strukturierte, analytische und zahlengetriebene Arbeitsweise entstanden waren. Diese Strukturen wurden zunehmen als einengend empfunden und als hinderlich für die Mitarbeitenden, sich zu entfalten und mehr Verantwortung zu übernehmen. Dies sollte sich im Rahmen der Neugestaltung des Unternehmens ändern.
Ausgehend von einem Menschenbild, dass jeder einzelne mehr Potential in sich trage, als er vielleicht bisher ausleben konnte und die Mitarbeitenden sich gerne engagieren und einbringen wollten, suchte Unic nach einer Organisationsform, welches die Umsetzung dieses Menschenbildes besser unterstützte. Holacracy bot eine Grundlage, um dafür einen Rahmen zu schaffen und so war es für die Verantwortlichen von Unic ein wichtiges Anliegen, ihre Überzeugung auch im Ratifizierungsdokument festzuhalten.
Aus dem Bewusstsein heraus, dass eine Umstellung auf Holacracy ein komplexes Vorhaben ist und Sorgfalt und regelmässige Reflexion erfordert, war für die ehemalige Geschäftsleitung klar, dass sie sich in diesem Prozess extern begleiten lassen wollten. So entstanden die nächsten Schritte für eine weitere Zusammenarbeit und die eigentliche Arbeit begann. Nun musste der ganze Prozess in Bewegung gesetzt, die initiale Kreisstruktur vervollständigt und die 250 Mitarbeitenden vorbereitet werden.
Unic löste das auf eine äusserst durchdachte und kreative Weise und wir freuen uns, im folgenden Blogbeitrag darüber zu berichten.
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